Wenn Medikamente depressiv machen
Depressionen sind multifaktoriell bedingte Erkrankungen. Oftmals besteht eine genetische Neigung und es werden sich weitere Fälle in der Familie finden. Der Psychiater wird meist das Ungleichgewicht der Neurotransmitter als Ursache in seinem Fokus haben. Beim tiefenpsychologisch oder analytisch orientierten Psychotherapeuten werden es negative Beziehungserfahrungen und unerfüllte Versorgungswünsche und beim Verhaltenstherapeuten ungünstige Lernerfahrungen und dysfunktionale Bewältigungsstrategien sein. Die eher alternativmedizinischen Kollegen sehen die Depression inzwischen oftmals als Folge der sog. "Silent Inflammation" im Bereich bestimmter neuronaler Strukturen. Ein Faktor wird aber leider oft übersehen: Medikamente können Depressionen auslösen oder bestehende Depressionen verschlimmern. Sie tun dies nicht bei jedem, aber manchmal reicht es schon, wenn genetische Veranlagung auf Pharmazeutik trifft.
Welche Medikamente sind nun in der Lage sich auf die Psyche nieder zu schlagen? Es gibt eine Vielzahl von Medikamenten die laut roter Liste oder Beipackzettel psychische Nebenwirkungen haben können. Und eine Vielzahl solcher Medikamente wo aus orthomolekularmed. Sicht depressive Nebenwirkungen logisch wären. Ich habe hier eine Hand voll der am häufigsten verordneten Medikamente dargestellt, auf die dies zutrifft:
ß-Blocker: Für den Laien sind das die Blutdruck- und Pulssenker, deren Name in der Regel auf -prolol endet als z.B. Metoprolol und Bisoprolol. Wenn es nur um den Blutdruck geht, lassen sie sich meist durch eine andere Substanzklasse ersetzen. Spielen Herzrhythmusstörungen eine Rolle, sind sie meist nur schwer austauschbar. Aber auch dann kann es manchmal hilfreich sein, von einem auf einen anderen ß-Blocker umzusteigen. Auch wenn es sich bei der depressinogenen Nebenwirkung um einen sog. Klasseneffekt handelt (d.h. tendenziell haben alle ß-Blocker die Fähigkeit depressionsfördernd zu wirken), kann es individuell sein, dass der betroffene Patient nicht bei jedem ß-Blocker diese Nebenwirkung bekommt oder dass sie graduell unterschiedlich stark ist.
Ramipril: Wahrscheinlich der effizienteste ACE-Hemmer. Meiner Erfahrung nach ist er bei Personen mit bestehender Depression kontraindiziert, wird aber dennoch bei Patienten mit Depression und Bluthochdruck, Zustand nach Herzinfarkt oder anderen Herzproblemen von vielen Kollegen eingesetzt. Gründe hierfür sind vermutl. sowohl die große Effektivität bei der Blutdrucksenkung, die langjährige Erfahrung mit dieser Substanz im internistisch-kardiologischen Bereich, die Tatsache, dass eine Verordnung dieser Substanz bei einer Reihe von Erkrankungen leitliniengerecht ist und die Kosten. Hier handelt es sich bei den depressionsfördernden Eigenschafften nicht wie bei den ß-Blockern um einen Klasseneffekt: Andere ACE-Hemmer (Für den Laien die Blutdrucksenker die auf die Silbe -pril enden) gelten nicht als depressinogen. Also wäre ein Umstieg auf z.B. Lisinopril genauso eine Option wie der Umstieg auf eine andere Substanzklasse.
HMG-CoA-Reduktase-Hemmer oder die sog. Statine werden zunehmend breitgestreut eingesetzt, um den Cholesterinspiegel zu senken. In USA werden sie den Personen mit Zustand nach Herzinfarkt sogar unabhängig von ihrem Cholesterinspiegel verordnet, weil sie noch auf anderen Wegen vor erneutem Herzinfarkt schützen sollen. Aber auch sie haben depressinogene Wirkung.
Metformin: Das am häufigsten eingesetzte orale Antidiabetikum hat zumindest aus orthomolekularmedizinische Sicht das Potenzial Depressionen zu triggern. Da der Diabetes selbst auch depressionsfördernd ist, ist hier oft schwierig abzuschätzen was von der Erkrankung und was von der Medikation ausgelöst wird. Metformin kann die Aufnahme von Vitamin B12 über den Magen-Darm-Trakt um 50-90% reduzieren. Vitamin B12 brauchen wir aber dringen u.a. für die Herstellung von Serotonin. Gerade Patienten bei denen Diabetes und Metformineinnahme Depressionen verstärken oder ausgelöst haben, profitieren von einer Vitamin-B12-Gabe (vorzugsweise nicht über den Magen-Darm-Trakt sondern als Depotspritze in die Muskulatur) meist mehr als von Antidepressiva.
PPI oder Protonenpumpeninhibitoren: Substanzen wie Omeprazol und Pantoprazol sind bei längerfristiger Einnahme dazu geeignet, ebenfalls die Aufnahme von B12, aber auch von anderen für die Psyche wichtigen Mikronährstoffen (z.B. Magnesium) zu verringern oder zu verhindern. In Krankenhäusern werden sie fast jedem Patienten zum Magenschutz gegeben. Da Krankenhausaufenthalte gerade für ältere Menschen eine sehr stressbelastete Situation sind, mag das sogar sinnvoll sein, ebenso bei der Einnahme von bestimmten Schmerzmitteln oder Cortison, bzw. bei Magengeschwüren in der Vorgeschichte. Bei einigen Kollegen gehört zur Verordnungspolitik, dass wenn der Patient mehr als ein Medikament (egal was) kriegt, dann braucht er einen PPI zum Magenschutz. Im niedergelassenen Bereich sind die Kollegen da inzwischen deutlich zurückhaltender. Allerdings sind Omeprazol und Pantoprazol inzwischen rezeptfrei erhältlich und viele Menschen nehmen sie gegen Sodbrennen und co ein, denn "was frei verkäuflich ist, kann ja nicht so schlimm sein" und schließlich wird es ja sogar beworben.
Antibiotika: Eine Reihe von Antibiotika u.a. Ciprofloxacin und verwandte Substanzen. Können Depressionen auslösen oder verstärken. Zum Glück handelt es sich um Substanzen, die in der Regel nur für einen relativ kurzen Zeitraum eingenommen werden. So dass beim Aufkommen depressiver Verstimmungen unter Antibiose meist eine Aufklärung darüber, dass es eine kurzfristige Nebenwirkung des Antibiotikums sein kann und diese i.d.R. nach Absetzen auch wieder verschwindet und ein beobachtendes Abwarten oftmals als "Therapie" ausreichen. Bei Personen die unter Depressionen leiden bevor sie ein Antibiotikum erhalten, kann es hilfreich sein, das Antibiotikum auch nach diesem Kriterium auszuwählen und nicht nur nach dem Erregerspektrum (welches es natürlich dennoch abdecken sollte). Aber gerade bei Ciprofloxacin habe ich auch schon paradoxe Wirkungen berichtet bekommen: Einzelne depressive Patienten erlebten hierunter eine Besserung der Symptomatik. Mir ist leider nicht bekannt ob andere Kollegen auch solche Phänomene beobachten konnten (wer als Arzt oder Betroffener so etwas erlebt hat, kann es mir gerne in die Kommentare schreiben, fände ich sehr interessant).
Antipsychotika / Neuroleptika: Es ist äußerst ungünstig, aber auch Psychopharmaka können Depressionen auslösen. Gerade Antipsychotika, welche zum Teil im Rahmen der Depressionsbehandlung eingesetzt werden, können Depressionen auslösen oder Verstärken. Das ist quasi wie mit den Schmerztabletten in deren Beipackzettel Kopfschmerzen als Nebenwirkung stehen. Im Gegenzug dazu können Antidepressiva Psychosen aus lösen, so dass man hier im ungünstigsten Fall eine Katze hat, die sich selbst in den Schwanz beißt.
Bei Depressionen scheint sich eine ausführliche Medikamentenanamnese also durchaus zu lohnen. Es wäre wünschenswert, dass sowohl ärztliche, als auch psychologische Psychotherapeuten häufiger bei der Ursachensuche am Patienten die Fragen stellen: Neben Sie eigentlich Medikamente? Wenn ja, welche? Und gibt es einen zeitlichen Zusammenhang zur psychischen Symptomatik? Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit habe ich einige Verhaltenstherapeut(inn)en kennengelernt, denen ich durchaus zutraue, dass sie mit ihrem Patienten die Beipackzettel seiner Medikamente durchgehen und dem Patienten dann die "Hausaufgabe" geben mit dem verordnenden Arzt darüber zu sprechen, ob eine Medikamentenumstellung möglich ist. Schön wäre es jedoch, wenn alle Psychotherapeuten dies tun würden.
"googleplus-Beitrag" Lydia Heinecke https://plus.google.com/105548097501026523354/posts/Pz9vrYwGHSa ,öffentlich geteilt am 14.06.2016, zuletzt abgerufen am 16.01.2019